Highlights

Nicht nur die Umstellung der Weiterbildung auf kompetenzbasierte Bildung hat das SIWF massgeblich in Anspruch genommen, sondern auch die Titelordnung hat im Berichtsjahr bei den Traktandenlisten der SIWF-Organe wesentlichen Raum beansprucht. Neu unterscheidet die Weiterbildungsordnung (WBO) nicht mehr zwischen mono- und interdisziplinären Schwerpunkten, sodass für die ärztlichen Qualifikationen nicht mehr vier, sondern nur mehr drei Gefässe zur Verfügung stehen: Facharzttitel, Schwerpunkte und Fähigkeitsausweise.

Ein neuerer Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts bedroht das Weiterbildungssystem der WBO: Nicht nur ausländische Facharzttitel, sondern auch ausländische Subspezialitäten sollen von der Medizinalberufekommission (MEBEKO) anerkannt und damit den Schwerpunkten des SIWF gleichgestellt werden. Lassen sich die hohen Standards der Schwerpunkte in der Schweiz noch beibehalten? Das Bundesgericht als oberste Instanz wird darüber befinden, ob der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts in Kraft treten und die Freizügigkeit in Europa höher gewichtet wird als die Qualität der Weiterbildung.

Ein absoluter Rekord in der Geschichte des SIWF stellt die Zahl der erteilten Facharzttitel dar: 1928. Damit wurde die bisherige Rekordmarke aus dem Jahr 2015 um fast 200 Titel übertroffen.

Wiederum stattgefunden hatte 2022 das MedEd-Symposium, das im Zeichen von Fehlerkultur, Patienten-Feedback und Entrustable Professional Activities (EPAs) stand. Last but not least bleibt die Visitatorinnen- und Visitatorentagung zu erwähnen, die auf grosses Interesse gestossen ist und in Zukunft regelmässig angeboten wird.

Kompetenzbasierte Weiterbildung (CBME) und Entrustable Professional Activities (EPAs)

Die Reform der ärztlichen Weiterbildung in der Schweiz schreitet gut voran. Hier ein paar Highlights des Jahres 2022:

Jason R. Frank
Nachdem wir 2021 bereits den «Papst» der Entrustable Professional Activities (EPAs), Olle ten Cate, bei uns im SIWF begrüssen durften, besuchte uns im November der «Papst» der kompetenzbasierten Bildung, Jason R. Frank (siehe auch Interview in der Schweizerischen Ärztezeitung). Er bezeichnete die Schweiz zusammen mit den Niederlanden als «early adapter of CBME (competency based medical education) in Europe» und zeigte sich beeindruckt vom Stand der Einführung der kompetenzbasierten Bildung in der Schweiz.

Entrustable Professional Activities (EPAs)
Erfreulicherweise steht mehr als die Hälfte der Fachgesellschaften, die für einen eidgenössischen Facharzttitel verantwortlich sind, in Kontakt mit dem SIWF bezüglich der Anpassung ihrer Weiterbildungsprogramme und der Entwicklung von EPAs. Das Weiterbildungsprogramm der Kardiologie wurde als erstes kompetenzbasiertes Programm, das auch EPAs integriert hat, vom Vorstand des SIWF verabschiedet. Das Core Surgical Curriculum, das die ersten zwei Jahre der chirurgischen Weiterbildung definiert, wurde im September durch das Swiss College of Surgeons eingeführt. Dieses Programm beinhaltet nebst EPAs auch E-Learning-Angebote und praktische Kurse für angehende Chirurginnen und Chirurgen. Sowohl die Einführung der EPAs in der Kardiologie als auch des Core Surgical Curriculums werden durch das SIWF wissenschaftlich begleitet.

Die EPA-Kommission hat nicht nur Konzepte zur Einführung der EPAs in der klinischen Weiterbildung erarbeitet, sondern auch erstmals einen Prozess für die Qualitätskontrolle der erarbeiteten EPAs entwickelt. Ausserdem hat sich eine eigene Arbeitsgruppe gebildet, die die Kriterien für eine «App» zusammenstellt.

«Teach the teachers»-Kurse
Die «Teach the teachers»-Kurse haben eine neue Gesamtleitung: Werner Bauer hat die Koordination der Kurse an Andrea Meienberg und Jan Breckwoldt weitergegeben. Er bleibt aber weiterhin für die SIWF-Summer-School und die Betreuung der Kurse des Royal College of Physicians London zuständig. An dieser Stelle möchten wir Werner Bauer für seine langjährige exzellente Arbeit herzlich danken. Der Bedarf und die Nachfrage für diese Kurse sind sehr hoch. Deshalb werden die Kurse sowohl mengenmässig als auch inhaltlich erweitert. Dafür braucht es aber auch mehr Instruktorinnen und Instruktoren, weshalb im April erstmals ein sehr erfolgreicher Instruktorenkurs stattfand.

Serie in der Schweizerischen Ärztezeitung
Ein grosses Team von Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der medizinischen Bildung hat im Jahr 2022 elf Artikel zu verschiedensten Aspekten der kompetenzbasierten Bildung in der Schweizerischen Ärztezeitung geschrieben. Mit diesem Link gelangen Sie zur Serie.

Internationale Zusammenarbeit
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Mehrere Mitglieder der EPA-Kommission wurden zusammen mit der Präsidentin eingeladen, Mitglied einer internationalen Gruppe von Expertinnen und Experten der kompetenzbasierten Bildung zu werden. Durch diesen internationalen Austausch profitieren wir von den Erfahrungen von Ländern, die weiter fortgeschritten sind in diesem Gebiet. Durch den Aufbau eines Internationalen «Advisory Board» erhoffen wir uns eine Hilfestellung bei der Reform der ärztlichen Weiterbildung in der Schweiz. Als Mitglieder konnten wir neben Olle ten Cate und Jason R. Frank auch unsere langjährigen Kollegen des Royal College of Physicians London, David Perry, Tom Baker und Oliver Cullen, gewinnen.

Visitatorinnen- und Visitatorentagung

Visitationen bilden das Hauptinstrument für die Gewährleistung und Verbesserung der Weiter­bil­dungs­qualität in den Weiter­bil­dungs­stätten. Ein Expertenteam prüft dabei vor Ort die Umsetzung des Weiter­bildungs­konzeptes und stellt sicher, dass die Weiter­bildungs­verhält­nisse mit den geforderten Kriterien des jeweiligen Weiterbildungsprogramms übereinstimmen. Im abschliessenden Bericht gibt das Visitationsteam eine Empfehlung zuhanden der Weiter­bildungs­stätten­kommission ab.

In den Visitationsteams sind die Fachgesellschaft und der Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) je durch eine Delegierte oder einen Delegierten vertreten. Das SIWF bestimmt als dritte Person eine Expertin oder einen Experten aus einem anderen Fachgebiet.

Der auf grosses Interesse gestossene Workshop im Juni 2022 richtete sich einerseits an jüngere Visitatorinnen und Visitatoren, um die konkreten Ziele und die praktische Durchführung der Visitationen sowie die Berichterstattung besprechen zu können, andererseits ergab sich die Gelegenheit, Erfahrungen mit routinierten Visitatorinnen und Visitatoren auszutauschen und Fragen zu erörtern.

In mehreren sehr engagiert geführten Gruppengesprächen zeigte sich, dass ein derartiger Gedankenaustausch einem grossen Bedürfnis entspricht.

Dabei konnte dargestellt werden, dass Visitationen nicht ausschliesslich Kontrollen sein sollen, sondern vorwiegend als wertvolle Unterstützung und Hilfestellung zu verstehen sind.

Nicht ganz unerwartet zeigten sich auch übereinstimmende Beobachtungen über den zunehmenden wirtschaftlichen Druck in den Weiterbildungsstätten, der sich nicht selten auf die Weiterbildungsqualität auswirken kann.

Auch gilt es in den Visitationen zu kontrollieren, ob der von der Vereinbarung zur Finanzierung der ärztlichen Weiterbildung (WFV) garantierte Betrag wirklich der strukturierten Weiterbildung zugutekommt.

Die positiven Rückmeldungen zeigten, dass ein derartiger Anlass sehr geschätzt wird und periodisch wiederholt werden sollte.

Bundesverwaltungsgericht bedroht Weiterbildungssystem

2002–2022: Seit 20 Jahren sind die bilateralen Verträge mit der Europäischen Union (EU) in Kraft, und das Freizügigkeitsabkommen garantiert die freie Berufsausübung in allen Ländern der EU. Dies bedingt die gegenseitige Anerkennung der Berufsabschlüsse, also beim Arztberuf die Arztdiplome und Facharzttitel. Zu diesem Zweck hat der Gesetzgeber die eidgenössischen Facharzttitel geschaffen (vormals «FMH-Titel»), die vom SIWF als akkreditierte Organisation reguliert und erteilt werden. In diesen 20 Jahren, das heisst, seit das SIWF eidgenössische Titel erteilt, hat das SIWF letztlich sämtliche Prozesse vor Bundesverwaltungsgericht (BVGer) und vor Bundesgericht (BGer) gewonnen. Die obersten Bundesinstanzen haben die Regelungen des SIWF somit zu 100 Prozent bestätigt, zum Beispiel wenn es um die Anerkennung ausländischer Prüfungen oder ausländischer Weiterbildungen ging. Zitat: «Letztlich dienen die einschlägigen, in der Weiterbildungsordnung (WBO) sowie im Programm gestützt auf das Medizinalberufegesetz (MedBG) statuierten Anforderungen dem Schutz der öffentlichen Gesundheit und des Vertrauens der Bevölkerung» (BVGer vom 27.9.2022).

Nicht der gegenseitigen Anerkennung unterliegen bisher die Schwerpunkte und Fähigkeitsausweise, die das SIWF auf privatrechtlicher Grundlage erteilt. Insbesondere die Schwerpunkte bilden einen wesentlichen Pfeiler der Weiterbildungsqualität in der Schweiz, weil in- und ausländische Ärztinnen und Ärzte gleichermassen sämtliche Bedingungen für den Erwerb des Schwerpunktes erfüllen müssen. Auch diese Regelungen konnte das SIWF unangefochten durchsetzen. Zuletzt hat das BGer 2019 bestätigt, dass die privatrechtlichen Schwerpunkte nicht dem öffentlichen Recht unterliegen und somit weder ans BVGer noch ans BGer weitergezogen werden können.

Leider wird dieses schweizerische Erfolgsmodell jetzt mit einem Entscheid des BVGer in Frage gestellt. Das BVGer hat nämlich im März 2022 entschieden, dass sämtliche Qualifikationen und nicht nur wie bis anhin die Facharzttitel aus dem Ausland von der Medizinalberufekommission (MEBEKO) anerkannt werden müssten. Begründung: Wenn die Berufsausübung zum Beispiel mittels Dignitäten im Tarif (TARMED/TARDOC/DRG) reglementiert sei, gehe das Freizügigkeitsabkommen als Völkerrecht den innerstaatlichen Regelungen vor. Eine grosszügige Anerkennung ausländischer Qualifikationen und die Berücksichtigung von Berufserfahrung hätten zur Folge, dass die hohen Standards der Schwerpunkte in der Schweiz untergraben würden. Eine solche Inländerdiskriminierung ist zwar rechtlich zulässig, wäre aber auf Dauer nicht haltbar. Die MEBEKO bzw. das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) hat den Entscheid des BVGer an das BGer weitergezogen. Obwohl nicht Partei, ist das SIWF vom Ausgang des Verfahrens indirekt betroffen. Vom Entscheid des BGer hängt jetzt ab, ob die Schwerpunkte weiterhin als Garant für eine hohe Weiterbildungsqualität stehen oder ob sie der Freizügigkeit in Europa geopfert werden. Das SIWF hat mit der FMH bereits Auswege geprüft für den Fall, dass die MEBEKO bzw. das EDI unterliegt. Längerfristig könnten beispielsweise Entrustable Professional Activities (EPAs) oder andere Qualitätsindikatoren anstelle der Schwerpunkte als Dignitäten in den Tarifen definiert werden.

Verselbständigung und Auslagerung der Schwerpunkte

Vorstand und Plenum haben nach monatelangen und intensiven Diskussionen der Revision der Weiterbildungsordnung (WBO) und damit der Verselbstständigung der Schwerpunkte zugestimmt. Im Kern hat das SIWF damit die Differenzierung zwischen mono- und interdisziplinären Schwerpunkten aufgehoben und es verbleiben drei Gefässe für die ärztlichen Qualifikationen: Facharzttitel, Schwerpunkte und Fähigkeitsausweise. Wie bereits heute bei den interdisziplinären Schwerpunkten fallen auch die monodisziplinären Schwerpunkte in die administrative Zuständigkeit der Fach- bzw. Schwerpunktgesellschaften. Hierfür müssen die Programme entsprechend angepasst und die Sekretariate der verantwortlichen Gesellschaften ausgebaut werden. Die Schwerpunkte sind damit formal nicht mehr ein Teil bzw. Anhang des Facharzttitelprogramms, sondern sie sind eigenständige Programme. Mit dieser Vereinfachung und Flexibilisierung der Titelsystematik wird insbesondere auch eine Entlastung des e-Logbuchs angestrebt, das sich auf die 45 eidgenössischen Facharzttitel beschränken soll, um die Komplexität herabzusetzen und die Usability zu erhöhen. Der Umbau aller Schwerpunktprogramme wird mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Bereits verabschiedet wurde das neue Programm «Spezialisierte Traumatologie», das gemeinsam von den Chirurgen und Orthopäden getragen und administriert wird.

1928 erteilte Facharzttitel

Im Berichtsjahr hat das SIWF mit 1928 erteilten Facharzttiteln eine neue Rekordmarke gesetzt, welche diejenige aus dem Jahr 2015 um fast 200 Titel übertroffen hat. Dieses Ergebnis überrascht insbesondere deshalb, weil nach den zwei rekordhohen Jahren 2020 und 2021 mit einer deutlichen Korrektur nach unten gerechnet werden musste – analog dem Rekordjahr 2015. Der Anteil an Ärztinnen und Ärzten mit einem ausländischen Arztdiplom hat sich mit 47 Prozent auf hohem Niveau stabilisiert.

erteilte Facharzttitel

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